Vor mehr als zwei Jahren haben wir mit den Bienenwachstüchern angefangen. Kleine zaghafte Schritte und Experimente. Das war damals in der Küche und im Esszimmer. Halt so ein richtiges Startup Leben, wie man es aus dem Bilderbuch kennt: Vollzeit Angestellter und Vollzeit Mutter mit vielen Ideen und viel Energie 🙂
Schnell wurde uns klar, dass das kein Zustand ist und langfristig absolut unhaltbar war. Durch den Tag hindurch mit den Kindern spielen, Kochen, komplexe IT Projekte managen und Abends wachsen und Pakete verschicken, die Webseite pflegen und die Kundenanfragen beantworten. Es waren lange Tage und Abende und doch habe ich die Zeit genossen: Der Adrenalinkick als die erste Bestellung reinkam, die erste Bestellung eines Ladens usw.
Uns war aber bald einmal klar, dass dieses Geschäftsmodell keine Zukunft hat. Von Nachhaltigkeit konnte keine Rede sein. Wir waren uns einig, dass die Kinder unter der unternehmerischen Tätigkeit nicht leiden sollen. Insofern waren wir auf Hilfe angewiesen.
Fertigung in der Schweiz
Wie können wir Bienenwachstücher unter diesen Bedingungen herstellen? Jemanden anstellen? Ist es nur ein “Fidget Spinner” Hype? Personalaufbau würde sich dann nicht lohnen. Die Produktion auslagern in eine “Fabrik”? Heute wird praktisch alles in China und Umgebung produziert. Warum nicht auch Bienenwachstücher? Der Gedanke kam schnell und schien doch fremd. Doch wie sonst stellt man in der Schweiz ein Bienenwachstuch her?
Ein Bekannter machte mich auf geschützte Werkstätte aufmerksam. Seit Jahrzehnten bin ich in der Region ansässig, doch nie ist mir das kleine Atelier im Dorfkern aufgefallen. Das Calendula.
Unsere Anfrage und unsere Idee ist zum Glück auf Interesse gestossen. Bald machten wir erste Versuche und produzierten die Bienenwachstücher mit dem Calendula zusammen.
Sicher sind sie nicht so günstig wie in China, dafür ist die Zusammenarbeit viel einfacher als mit einer fernen Fabrik in einem fernen Land in einer fremden Sprache. Regelmässig schauen wir vorbei, unterstützen, holen Ware ab und liefern neue Rohstoffe.
Der Duft nach warmen Bienenwachs wird bald ganz normal im Calendula. Mit zunehmendem Interesse an Bienenwachstüchern steigt auch der Bedarf. Glücklicherweise wurden wir schnell fündig: Die Tagesstätte Solidarität in Langenthal und das RAZ in Herzogenbuchsee.
Alle drei Einrichtungen besuchen wir regelmässig und pflegen einen engen und persönlichen Kontakt: Es ist eben nicht eine Fabrik in der Ferne sondern Menschen aus der Nachbarschaft, was wir besonders schätzen.
Wir sind so froh für diese Unterstützung. Ohne sie wären wir wohl irgendwann an unsere Grenzen gestossen. Schneller als uns wahrscheinlich lieb gewesen wäre.
Es geht also doch, in der Schweiz ein Produkt zu produzieren.
Calendula Herzogenbuchsee
Die Calendula ist eine Institution für Menschen mit einer psychischen Beeinträchtigung in Herzogenbuchsee und gehört gemeinsam mit dem Wohnheim im Dorf in Bleienbach zur Stiftung Lebensgemeinschaft behinderter Menschen Region Oberaargau. Neben 20 Wohnplätzen in verschiedenen Wohngruppen und Studiowohnungen, bieten wir mit der Tagesstätte ein ergänzendes Angebot für eine sinnvolle Tagesstruktur an. In unserem Atelier an der Bernstrasse stellen wir verschiedene Produkte in Serie, sowie Einzelanfertigungen und Kundenaufträge her. Dabei ist das Ziel immer, unseren Klienten eine sinnstiftende Arbeit anzubieten und qualitativ hochwertige Artikel herzustellen.
Im Rahmen der Tagesstätte bieten wir aufbauend unser Nischenarbeitsplatzprogramm, kurz NAP an. KMU’s in der Region bieten unseren Klienten einen niederschwelligen Arbeitsplatz an , wo
Erfahrungen gesammelt werden können. Dies immer mit dem Coaching der Arbeitgeber und Klienten durch unseren Arbeitsagogen.
Tagesstätte Solidarität in Langenthal
Die Tagesstätte Solidarität in Langenthal ist ein niederschwelliges sozialpsychiatrisches Angebot. Sie bietet langjährig psychisch erkrankten Menschen eine Tagesstruktur mit individueller Betreuung und Beschäftigung an.
Mit der Herstellung von handwerklichen Produkten aus Holz, Textilien und Keramik für den Verkauf auf Märkten sowie im eigenen Atelierladen an der Bahnhofstrasse 37 in Langenthal, sowie seriellen Aufträgen von externen Kunden, bietet die Tagesstätte den Klientinnen und Klienten eine sinngebende Tätigkeit an.
RAZ Regionales Arbeitszentrum
Die Stiftung RAZ Regionales Arbeitszentrum Herzogenbuchsee will die Eingliederung behinderter Erwachsener ab 18 Jahren in die Gesellschaft fördern. Wir wahren deren Interessen durch die Sicherstellung der Lebensqualität mit fortschrittlichen Arbeitsstrukturen im Gewerbebetrieb und im Wohnbereich.
Das Kreativ-Atelier ist ein integrierter Bestandteil des Wohnheimes der Stiftung RAZ-Herzogenbuchsee. Das RAZ-Atelier wird durch ein Team von ausgebildeten Berufs– und Fachleuten geführt und betreut.
Wir sind überzeugt, dass durch die gezielte Förderung des Einzelnen und der ganzen Gruppe auch Menschen mit einer Beeinträchtigung Kunstgegenstände mit einer hohen Produktequalität herstellen können.
Was nehme ich aus den 2 Jahren Zusammenarbeit mit?
Die beiden Geschäftspartner könnten unterschiedlicher nicht sein. Wir das dynamische Startup in einem IT geprägtem Umfeld. Kaum ein Tag gleicht dem andern und zu erraten, was in einem Jahr ist gleicht der Wettervorhersage im April. Dem gegenüber die langjährigen und etablierten sozialen Stiftungen und Organisationen.
Und genau diese Differenzen machen uns zu idealen Partnern. Wenn ich eines gelernt habe, dann dass sich Ungleichheit sehr gut ergänzt. Es fordert aber auch von beiden Seiten eine gewisse Geduld und Verständnis.
Wenn zwei am gleichen Karren ziehen sollte es bekanntlich einfach sein. Ich behaupte, man steht sich nur auf den Füssen rum, weil die Stange zu kurz ist. Wenn jedoch der eine zieht und der andere stösst (natürlich in die gleiche Richtung) dann geht es definitiv einfacher.
Insofern sind wir überglücklich so eng und gut mit unseren Partnern zusammenarbeiten zu können und freuen uns auf eine ungewisse aber spannende Zukunft.